Markt ohne Moral?
Seit der Finanzkrise 2007 ist Kapitalismuskritik wieder en vogue. Besonders angesagt ist der Vorwurf moralischen Versagens. Susanne Schmidt beispielsweise attestiert der Finanzwelt in ihrem Buch Abmoralität. Franz Müntefering hat Joe Ackermanns Zielvorgabe einer Eigenkapitalrendite von 25% als “moralische Verirrung” gebrandmarkt. Was haben Markt und Moral miteinander zu tun? Zunächst kann man Adam Smith anführen, der argumentiert, dass durch das Streben des Einzelnen nach individuellem Glück auch dem Gemeinwohl gedient sei.
Auf Grundlage dieser – hier nur skizzenhaft dargestellten – Überlegungen lässt sich argumentieren, dass nicht das kapitalistische System problembehaftet ist, sondern das oft angeprangerte “amoralische” Verhalten einige seiner Akteure. Wer solche Vorwürfe erhebt, darf jedoch nicht vergessen, dass Moral nicht aus einem Vakuum entsteht, sondern das Produkt tugendhafter und wertorientierter Erziehung ist. Und genau in diesem Bereich haben wir in den letzten Jahrzehnten eine bewusste Abkehr von als überkommen geltenden Wertvorstellungen erlebt. Wer die Vermittlung allgemeingültiger Wertmaßstäbe zugunsten einer beliebigen “Anything goes”-Mentalität ablehnt, darf sich nicht über den Verlust moralischen Handelns wundern. Wer geglaubt hat, Menschen ohne moralische Autorität zum Besseren bekehren zu können, befindet sich auf dem Holzweg.
Der Libertäre mag die Haltung haben, der Markt komme ohne Moral schon ganz gut zurecht. Er wird die Finanzkrise allerdings auch nicht als Marktversagen interpretieren. Das entspricht seiner libertären Gesinnung. Der Linksliberale hingegen darf dem Markt nicht vorwerfen, die Wertmaßstäbe nicht zu besitzen, gegen deren Vermittlung durch moralische Autoritäten (Eltern, Lehrer, Religion) er jahrelang gekämpft hat. Denn das ist scheinheilig.