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Die Mär vom Vertrauensverlust in die Politik

Es ist nicht unüblich, Dinge zu behaupten, für die man keinen Beweis hat. Die sich hartnäckig haltende Vorstellung, es gehe stetig bergab mit dem Zustand der Erde und ihren Bewohnern, ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür. Die Mär vom Vertrauensverlust der Bürger in die Politik ein anderes. Ganz gleich, ob es um niedrige Wahlbeteiligung, den Aufstieg neuer Parteien oder die Bankenbesetzer geht – keine Talkshow kommt ohne den Verweis aus, die Menschen hätten das Vertrauen in die Politik verloren. Wie steht es um den Realitätsgehalt dieser Behauptung?

Um eine Behauptung zu prüfen, kann man mit den so genannten „Menschen auf der Straße“ reden – wer auch immer das genau sein soll. Oder man analysiert Datensätze, für die eine Stichprobe von Bürgern (nicht nur auf der Straße) in verschiedenen Jahren nach ihrem Vertrauen in politische Institutionen befragt wurde. Man mag die Argumentation mit Zahlen und Fakten als kalt, herzlos und entfernt von den Menschen zurückweisen. Letztlich ist das Gegenteil der Fall: Daten ermöglichen eine weitestgehend objektive Beurteilung sozialer und politischer Realitäten.

Für die unten stehende Grafik wurden Daten des European Social Survey (ESS) herangezogen. Im Rahmen dieser Umfrage werden die Befragten unter anderem gebeten, eine Einschätzung ihres Vertrauens in politische Institutionen auf einer Skala von 0 bis 10 abzugeben. Die Grafik stellt die Mittelwerte der in Deutschland Befragten in den Jahren von 2002 bis 2010 dar. Je höher ein Punkt liegt, desto höher ist das durchschnittliche Vertrauen in die entsprechende Institution. Am Verlauf der Linien lassen sich Veränderungen im Zeitverlauf erkennen. Und diese sind marginal, von einem Vertrauensverlust kann nicht die Rede sein. Die Werte für das Vertrauen in die hier dargestellten Institutionen sind zwar nach einem Höchststand im Jahr 2008 wieder leicht gesunken, sind jedoch höher als im Jahr 2006.

Warum also wird ein Vertrauensverlust der Bürger in die Politik so oft und gerne diagnostiziert? Weil es nützlich ist. Ganz gleich, ob man die Regierung beschimpfen, ein neues Ausgabenprogramm rechtfertigen oder politische Verantwortung via falsch verstandener Direktdemokratie von einer zerstrittenen Koalition auf das Volk abwälzen will: Der Verweis auf ein gefühltes oder erfundenes Vertrauensdefizit kommt dabei gelegen. Wie es sich dabei mit der Wahrheit verhält, ist nicht nur sekundär, sondern schlichtweg irrelevant. Sic transit gloria mundi.

 

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